Als graue Energie bezeichnet man den Energieaufwand, der für Abbau, Herstellung, Transport, Lagerung, Instandhaltung, Rückbau sowie Entsorgung der eingesetzten Materialien benötigt wird. Aus dem Anteil des nicht-erneuerbaren Energieaufwandes resultieren Treibhausgasemissionen, welche als graue Emissionen bezeichnet werden.
Diese werden über das globale Treibhausgaspotential (GWP = Global Warming Potential [kg CO2-Äqv.]) quantifiziert. In der Europäischen Union liegt der Anteil der CO2-Emissionen, welche aus der Baustoffherstellung resultieren, bei ca. 9 Prozent der Gesamtemissionen aller Sektoren.
CO2-Emissionen aus Baustoffherstellung weltweit und EU Foto: BAUWENDE
Mit der zunehmenden Energieeffizienz sinkt der Energieverbrauch in der Nutzungsphase von Gebäuden, womit die Relevanz der grauen Energie prozentual am Gesamteinsatz im Lebensweg von Gebäuden weiter ansteigt. Vor allem im Neubaubereich ist die Wahl der Baustoffe, Konstruktionen und Anlagenkomponenten daher mittlerweile zu einem entscheidenden Hebel für den Klimaschutz geworden. Wird nur die Bilanzgrenze des GEG betrachtet (ohne Nutzerstrom), so liegt der Anteil von grauen Emissionen bei typischen Neubauten, abhängig von der Konstruktionsweise und dem Effizienzstandard (EnEV2016/GEG/KfW55/KfW40), bei 25 – 40 Prozent der gesamten CO2-Emissionen für die Konstruktion und den Energieeinsatz in der Nutzungsphase. Dies entspricht Emissionen in Höhe von 10 – 16 kg CO2-Äqv./(m²Wfl.*a). Durch eine lebenszyklusorientierte Wahl der Baumaterialien und der Baukonstruktion können die grauen Emissionen im Durchschnitt um ca. 6 kg CO2-Äqv./(m²Wfl.*a) reduziert werden. Hochgerechnet auf das Neubauvolumen in Deutschland könnten mit einer klima- und ressourcenschützenden Bauweise jährlich ca. 7 Mio. t CO2-Äqv.eingespart werden. Wird berücksichtigt, dass beispielsweise in verbautem Holz CO2 eingelagert wird, so ist von noch größeren Einsparpotentialen auszugehen.
Bei noch innovativeren Gebäudekonzepten wie dem Plusenergiegebäude werden die nutzungsbedingten CO2-Emissionen durch die gebäudenahe Stromerzeugung bilanziell kompensiert, wodurch lediglich die grauen Emissionen der Gebäudekonstruktion als Ansatzpunkt für weitere CO2-Einsparungen verbleiben. Aber auch aus der Gebäudesanierung ergeben sich große Einsparpotentiale in Bezug auf die graue Energie. Je nach gewähltem Gebäudetyp und Effizienzstandard liegt der Anteil der grauen Emissionen der Konstruktion bei Sanierungsvorhaben bei 10 – 25 Prozent, was Emissionen in Höhe von 3 – 8 kg CO2-Äqv./(m²Wfl.*a) entspricht.
Im folgenden Diagramm wird beispielhaft das Treibhausgaspotential von verschiedenen gängigen Außenwandaufbauten (inklusive Gutschriften aus CO2-Speicherung) innerhalb der Lebensdauer von Gebäuden miteinander verglichen:
GWP von typischen Außenwandkonstruktionen mit Bezug auf Außenwandfläche (*nur EnEV 2016) Foto: BBSR
Um die beschriebenen Einsparpotentiale nutzen zu können, ist es erforderlich, Methoden der Ökobilanzierung als festen Bestandteil in die Planung und Nachweisführung von Gebäuden zu integrieren. Entsprechende Bilanzierungswerkzeuge stehen öffentlich zur Verfügung und eine Kopplung mit entsprechender Planungssoftware ist bereits heute möglich. Eine detaillierte und vollständige Ausarbeitung einer Gebäudeökobilanz ist dabei in vielen Fällen gar nicht erforderlich, denn bereits vereinfachte Ansätze und ökobilanzielle Vergleiche können Optimierungspotentiale sichtbar machen.
Es zeigt sich, dass die Umsetzung von Gebäudeenergiestandards (EnEV/GEG, KfW, Passivhaus, Nullenergie, Plusenergie) ohne Berücksichtigung der grauen Energie und Emissionen der verbauten Konstruktionen oft nicht alleine zielführend ist und die Wirkung hinsichtlich Klimaschutz teilweise verfehlt werden kann. Um eine realistische Bewertung der CO2-Emissionen im Lebenszyklus zu erhalten, ist zusätzlich zur Bewertung des Primärenergiebedarfs eine ganzheitliche Bewertung unter Berücksichtigung der Konstruktionen und Baustoffe empfehlenswert. Denn nur auf diesem Weg kann das ambitionierte Ziel der Regierung, bis zum Jahr 2050 einen „nahezu klimaneutralen Gebäudebestand“ zu erreichen, realistisch umgesetzt werden. Eine Umstellung der Nachweisführung vom Referenzgebäudever-fahren auf absolute Zielwerte wäre hierbei ebenfalls zielführend.